Primärarztsystem versus Freie Artztwahl ?
Plant die neue Koalition die stufenweise Abschaffung der Arztfreiheit ?Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD heißt es, die ambulante Versorgung solle „gezielt verbessert“ werden – durch kürzere Wartezeiten, Entlastung der Praxen und eine strukturierte Steuerung des Zugangs zu Fachärzten. Das Mittel zum Zweck: ein verbindliches Primärarztsystem nach dem Vorbild der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV). Diese sieht vor, dass Patienten sich vertraglich verpflichten, immer zuerst einen bestimmten Hausarzt aufzusuchen. Nur bei bestimmten Fachrichtungen – wie Kinder- und Jugendmedizin, Gynäkologie oder Augenheilkunde – soll es Ausnahmen geben. Die Zahnmedizin bleibt bei den Überlegungen bislang außen vor.
Fachärzte mit Sorgenfalten
Während viele Hausärzte den Vorschlag als Aufwertung ihrer Rolle begrüßen, kritisieren Fachärzte die Pläne. Sie fürchten eine Überlastung der hausärztlichen Praxen, was zu einer weiteren Verzögerung bei Facharztterminen führen könnte. Schon jetzt sei der Versorgungsdruck hoch – eine zusätzliche Belastung von geschätzt 112 Millionen zusätzlichen Arztfällen jährlich würde die Kapazitäten vieler Praxen sprengen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung bringt einen differenzierten Ansatz ins Spiel: Ein verpflichtendes Primärarztsystem könne vor allem bei älteren Patienten ab etwa 50 Jahren sinnvoll sein. Diese Patientengruppe habe häufig mehrere chronische oder komplexe Erkrankungen, bei denen eine koordinierende hausärztliche Betreuung medizinisch geboten sei.
Weniger Kosten, mehr Kontrolle?
Für die Krankenkassen ist das Primärarztsystem vor allem eines: ein Mittel zur Kostensenkung. Jeder vermiedene Facharztbesuch spart Geld. Bis 2028 sollen durch die neue Steuerung bis zu zwei Milliarden Euro eingespart werden. Geplant ist auch, die elektronische Patientenakte zur Pflicht zu machen – als Voraussetzung für die Kostenübernahme von Facharztbehandlungen.
Freie Arztwahl bald nur noch gegen Zuzahlung?
Auch finanzielle Steuerungsinstrumente sind im Gespräch: Wer ohne Überweisung oder vorherige telefonische Beratung (z. B. über die Nummer 116 117) direkt zum Facharzt geht, könnte künftig zur Kasse gebeten werden. Damit würde die freie Arztwahl für gesetzlich Versicherte de facto eingeschränkt – es sei denn, sie sind bereit, selbst dafür zu zahlen. Dieses Szenario wäre dann eine Art Praxisgebühr 2.0
Das geplante Primärarztsystem könnte sich als Einstieg in einen Paradigmenwechsel weg von der Selbstbestimmung, hin zur zentral gesteuerten Patientenlenkung entpuppen. Für viele Versicherte – insbesondere ältere Menschen – würde das das Ende der gewohnten ärztlichen Freiheit bedeuten. Ob das neue System überhaupt funktionieren kann, hängt maßgeblich davon ab, ob Hausarztpraxen die Mehrbelastung stemmen können – und ob die Patienten es mittragen.
Quelle: Telepolis.de
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