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Psychotherapie

Wie wirkt systemische Therapie?

Interview mit Sebastian Baumann, Vorstandsbeauftragter Psychotherapie bei der Systemischen Gesellschaft e. V.
veröffentlicht am 28.09.2021 von Redaktion krankenkasseninfo.de

Sebastian Baumann ( Systemische Gesellschaft e.V.)  Sebastian Baumann ( Systemische Gesellschaft e.V.)(c) Systemische Gesellschaft e.V.
Seit Juli 2020 übernehmen die Krankenkassen bei Erwachsenen psychotherapeutische Behandlungen mit Systemischer Therapie. Sabastian Baumann (Systemische Gesellschaft e.V.) spricht im Interview über Methoden, Setting und den Zugang zu diesem Therapieverfahren für gesetzlich Versicherte.    

2021-09-28T16:14:00+00:00
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Die über 70 Millionen gesetzlich Versicherten können ein weiteres Verfahren der Psychotherapie in Anspruch nehmen. Worin genau unterscheidet sich die systemische Therapie von weiteren Regelverfahren wie etwa der Verhaltenstherapie?

Das Typische einer Systemischen Therapie ist, dass neben dem Patienten weitere Personen aus dem Umfeld einbezogen werden. Bei erwachsenen Patienten ist das häufig der Partner oder die Familie. Denn neben den psychischen und den biologischen zählen nachweislich auch soziale Faktoren für die Entstehung und bei der Behebung von Störungen. Das wurde nun auch in der Psychotherapie-Richtlinie verankert.

 

Gibt es eine kurze und einfache Antwort auf die Frage: Wie wirkt systemische Therapie?

Systemische Therapie wirkt im so genannten Mehrpersonensetting durch Beziehungsveränderungen, Veränderungen der Kommunikation und der gegenseitigen Zuschreibungen von Patienten und ihren engsten Bezugspersonen. Im Einzelsetting, das ebenso häufig angewendet wird, „behandeln“ wir eigentlich nicht Menschen sondern unterstützen sie dabei, sich selbst besser zu behandeln. Systemische Therapeuten interessieren sich dabei sehr für Ressourcen und bisherige Lösungsversuche bei psychischen Problemen.

"Wenn man aus einer Therapiesitzung kommt und wieder Zugang zu seinen Stärken hat,
ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es eine systemische war."

Neben der Würdigung von leidvollen Erfahrungen von Patienten, die wir lieber Klienten nennen, weil das medizinische Modell von Krankheit eigentlich nicht richtig passt, gibt es eine starke Lösungsorientierung. Dabei ist Systemische Therapie das erste und einzige psychotherapeutische Verfahren was auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin (also dem Nachweis der Wirksamkeit durch Studien) ins Gesundheitssystem gekommen ist, weil dieses Kriterium zu früheren Zeiten nicht an neue Behandlungsverfahren angelegt wurde.

 

Die sprichwörtliche „Couch“ ist bekannt von den psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Verfahren. Welche besonderen Methoden gehören zum Umfang einer systemischen Therapie?

Etwa das Reframing, also das Umdeuten von Situationen und Erlebnissen. Es lässt Symptome in einem neuen Licht erscheinen. Unsere Auffassung ist, dass selbst die leidvollsten Symptome nicht-bewusste Interventionen im Dienste bestimmter lebenswichtiger Bedürfnisse von Menschen sind.

"Typisch sind auch erlebnisorientierte Methoden, die nicht nur den Verstand ansprechen, sondern sich das Wissen des Körpers zu eigen machen."

Das bewirkt eine neue Sicht auf das Problem und macht es lösbar. Häufig geht es darum, zu allen Persönlichkeitsanteilen, die natürlicherweise zu einem gehören, eine gute Beziehung herzustellen und nicht einzelne Anteile, wie etwa den ängstlichen, den depressiven, den anderen Menschen etwas abverlangenden, abzuwerten. Typisch sind auch erlebnisorientierte Methoden, die nicht nur den Verstand ansprechen, sondern sich das Wissen des Körpers zu eigen machen. Wenn man aus einer Therapiesitzung kommt und wieder Zugang zu seinen Stärken hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es eine systemische war.

 

Wenn ein System betrachtet werden soll, gehören mehr als zwei Einzelpersonen dazu. Inwieweit wird bei der systemischen Therapiesituation die klassische 1:1 Konstellation aus Klient und Therapeut erweitert?

Unsere Kollegen aus den Kliniken hören häufiger: Unser kleiner Sohn ist ja hier bei Ihnen, ich bin in Psychotherapie und mein Mann macht ein Coaching. Gemeinsam wurden Probleme aber bislang noch nicht besprochen. Systemische Therapie ermöglicht die Therapie im Mehrpersonensetting. So können Schwierigkeiten und Wechselwirkungen, die im Zusammenhang mit psychischen Störungen stehen, zwischen Familienmitgliedern direkt miteinander besprochen werden.

"Systemische Therapie ermöglicht die Therapie im Mehrpersonensetting."

Die Angehörigen werden als immense Ressource erlebt, um einen Umgang miteinander zu finden, der psychische Störungen nicht mehr „nötig“ macht. Aber auch wenn nur ein Familienmitglied unter einer Störung leidet oder der Klient Single ist macht es großen Sinn, die Auswirkungen der gewünschten Veränderung auf das Umfeld auszuloten eziehungsweise das Umfeld für die Veränderung mitzugewinnen.

Für eine Psychoanalyse werden mindestens 160 Therapiesitzungen veranschlagt und von den Krankenkassen bezahlt. Wie ist der durchschnittliche Stundenumfang einer systemischen Therapie?

Der Systemischen Therapie wird hier von allen Beteiligten viel zugetraut. Die 160 Sitzungen in der Psychoanalyse entsprechen 36 Sitzungen in der Systemischen Therapie. Die maximalen Therapiekontingente sind: Verhaltenstherapie: 80 Sitzungen, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: 100 Sitzungen, Psychoanalyse: 300 Sitzungen, Systemische Therapie: 48 Sitzungen. Neben dem Raum für Belastendes auf Ressourcen und Lösungen zu schauen, ermöglicht eine kurze Therapiedauer.

Die Erteilung eines Therapieplatzes geschieht über die psychotherapeutische Sprechstunde oder einen verordnenden Arzt. Wie sollten Patientinnen und Patienten vorgehen, wenn sie eine systemische Therapie anstreben?

Bislang gibt es nur sehr wenige Systemische Therapeuten im Kassensystem. Neue Kassensitze müssen erst einmal mit Systemischen Therapeuten besetzt werden. Es wird also noch einige Jahre dauern bis genügend systemtherapeutisch ausgebildete Kollegen Therapieplätze anbieten können.

"Wer eine Systemische Therapie sucht, sollte sich an die Kassenärztlichen Vereinigungen wenden."

Zu beachten ist außerdem, dass die Systemische Therapie zunächst nur für Erwachsene als Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen ist. Private Krankenversicherungen übernehmen die Kosten für die Systemische Therapie auch für Kinder- und Jugendliche bereits seit 2018. Wer eine Systemische Therapie sucht, sollte sich an die Kassenärztlichen Vereinigungen wenden. Dort liegt die Information vor, welcher ärztliche oder psychologische Psychotherapeut eine Abrechnungsgenehmigung für Systemische Therapie hat.



Sebastian Baumann
Diplom-Psychologe, Systemischer Therapeut und Berater (SG/DGSF)

Lehrender für Systemische Therapie (DGSF), Klinische Hypnose (M.E.G.), Sexualtherapeut (Uli Clement), Systemischer Supervisor (SG). Vorstandsbeauftragter Psychotherapie der Systemischen Gesellschaft (SG). Privatpraxis in Mannheim, www.loesungsraum.de.

 

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