Gläserner Patient per Gesetz? Klage gegen Datenweitergabe der Krankenkassen
Bürgerrechtler wollen Widerspruchsrecht und Anonymisierung durchsetzenAls der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 2019 mitten im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zum Digitalisierungsgesetz (DVG) in letzter Minute vor der Abstimmung eine Klausel aus dem Text entfernen ließ, fiel das den Abgeordneten im Bundestag nicht weiter auf. Erst als nach dem Beschluss entdeckt wurde, welche essenzielle Textstelle plötzlich fehlte, schlugen die Wellen hoch. Es war der Satz, wonach die Weitergabe der sensiblen Gesundheitsdaten an Dritte ausgeschlossen wurde. Mit einem Handstreich hatte Spahn einen mühsam ausgehandelten Datenschutzaspekt einfach wieder gestrichen.
Wer hat Zugriff auf sensible Gesundheitsdaten?
Laut Gesetz haben nur bestimmte Verbände und Organisationen des Gesundheitswesens Zugriff auf die staatlich gesammelten Daten. Auf Antrag erhalten Forscher und Wissenschaftler zusammengefasste Ergebnisse aus den Daten, können jedoch keine eigenen Datenbankanfragen durchführen. Weil aber eine Weitergabe an Dritte nun nicht mehr explizit verboten ist, gibt es ein politisches Schlupfloch für die stark interessierte Arzneimittelindustrie und andere private Akteure, an das Datengold zu gelangen.
Der Gefahr des schutzlos den Interessen von Dritten ausgelieferten gläsernen Patienten wollen Bürgerrechtler nun mit einer Klage begegnen. Aktuell bereitet die Gesellschaft für Freiheitsrechte zusammen mit dem Chaos Computer Club (CCC) und einer Privatperson eine Sammelklage gegen das Gesetz vor. Ein Versicherter will sein Recht und zugleich damit das Recht aller Versicherten auf Verweigerung bzw Widerspruch gegen die unfreiwillige Datenlieferung durchsetzen.
Widerspruchsrecht und Schutz vor
Die klagenden Organisationen wollen so eine Widerspruchsmöglichkeit für alle Versicherten durchsetzen. Konkret soll mit Eilanträgen und Unterlassungsklagen über Sozialgerichte in Frankfurt und Berlin ein Stopp erwirkt werden. Im Kontext der öffentlichkeitswirksamen Klage verweisen die unterstützenden Organisationen auch auf den mangelhaften Datenschutz. So werden nach jetzigem Stand die sensiblen Daten weder verschlüsselt noch anonymisiert. Lediglich ein Pseudonym bzw. eine Arbeitsnummer wird die Klarnamen der Versicherten ersetzen, was eine Rückverfolgung und Zuordnung der Profile zu Personen technisch ermögliche.
Hier fordern die klagenden Akteure eine Anonymisierungspflicht für alle gesammelten Versichertendaten auf einem Level, das eine Zuordnung der Profile im Nachhinein unmöglich machen soll. Somit wären die Versicherten nicht nur bei legaler Weitergabe, sondern auch illegalen Hackerangriffen oder Datenpannen besser geschützt.
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