Systemische Therapie – durch gesunde Beziehungen zu mehr Lebensqualität
Entwicklung der systemischen Therapie
Die Ursprünge der systemischen Therapie liegen in der Paartherapie und der therapeutischen Familienarbeit in den 1950er Jahren. Dieer Ansatz tat sich bei der Behandlung von schizophrenen Menschen dadurch hervor, weitere Familienmitglieder stärker in den therapeutischen Prozess einzubinden. Seitdem vergrößerte die Therapieform ihr Behandlungsspektrum und integrierte Erkenntnisse aus der Systemtheorie, dem Konstruktivismus, der Kybernetik und der Kommunikationsforschung. Das Augenmerk liegt auf den zwischenmenschlichen Interaktionen und der darin enthaltenen gegenseitigen Interpretation des Verhaltens.
Studien konnten zudem beweisen, dass die systemische Therapie bei folgenden Störungsbildern signifikant wirksam ist:
- Störungen des Essverhaltens
- Substanzabhängigkeit
- Schizophrenie
- Angst- bzw. Zwangsstörungen
- Depression
Die gesetzlichen Krankenkassen erkennen daher die systemische Therapie als Therapieverfahren an und übernehmen die Behandlungskosten. Damit ist die moderne Behandlungsform ebenbürtig zu den traditionelleren Formen wie der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie.
Ziele des systemtherapeutischen Ansatzes
Die systemische Therapie geht von zwei Prämissen aus. Erstens können Beziehungen innerhalb eines Systems als belastend wahrgenommen werden und andere als unterstützend. Zweitens können die inneren Konflikte des Patienten auf das Umfeld bzw. das System zurückwirken und so die Beschwerden vergrößern.
In der systemischen Therapie sollen Patienten ihre Leiden mit ihrer Biografie und den aktuellen Beziehungsgeflechten verknüpfen, um eine nachhaltige Heilung zu erfahren. Die Behandlung zielt einerseits darauf ab, Patienten ein tieferes Verständnis für die Gründe ihrer Belastungen zu ermöglichen. Andererseits sollen sie lernen, vorhandene stabilisierende Ressourcen besser zu erkennen und zu nutzen. Um beide Ziele zu vereinen, begleiten systemische Therapeuten ihre Patienten dabei, das Positive in den negativen Erlebnissen zu finden und daraus Akzeptanz für das Geschehene und Selbstbewusstsein zu schöpfen.
Strömungen der systemischen Therapie
Innerhalb der systemischen Therapie existieren verschiedene Richtungen. Sie alle verwenden ähnliche Methoden, legen allerdings unterschiedliche Schwerpunkte bei der Behandlung. Zu den etablierten Richtungen gehören die strukturell-strategische Familientherapie sowie die narrativen und lösungsorientierten Verfahren.
Narrative und lösungsorientierte Therapiekonzepte kommen häufig kombiniert zum Einsatz, vor allem in der Paartherapie. Alle genannten Richtungen finden ebenfalls in der Einzeltherapie Verwendung.
Strukturell-strategische Familientherapie
Die strukturelle Familientherapie behandelt Patienten mit Blick auf eine funktionierende Familienstruktur. Patienten schauen sich gemeinsam mit den Therapeuten an, wie Grenzen zwischen Eltern und Kind gesetzt und ausgehandelt werden, welche Räume persönlicher Entfaltung bestehen und welches Krisenmanagement herangezogen wird, um beispielsweise auf Verluste, Trennungen und Erkrankungen zu reagieren.
Der Therapeut verfolgt dabei das Ziel, mehr über die Transaktionsmuster im Familiensystem zu erfahren, um anschließend das Vertrauen der Familienmitglieder in ihr System zu stärken und konstruktive Gestaltungsräume zu etablieren.
Narrative und lösungsorientierte Ansätze
Der narrative Ansatz folgt der Lebensgeschichte der Patienten. Durch das geleitete Erzählen über das eigene Leben kann der Patient die Gründe für aktuelle Beschwerden besser erkennen, neu betrachten und persönlichkeitsstärkend umformulieren. Im lösungsorientierten Ansatz verfolgen systemische Therapeuten eine ressourcenorientierte Strategie. Patienten setzen sich weniger mit den Ursachen als mit der Suche nach Lösungen auseinander. Das Ziel liegt vor allem darin, den Blick auf die bestehenden und noch zu erarbeitenden Ressourcen zu lenken, um Krisen zu überwinden.
Methodisches Vorgehen in der systemischen Behandlung
Die systemische Therapie verwendet eine Vielzahl an Methoden, um sich belastenden Alltagssituationen, Verhaltensweisen und Erinnerungen zu nähern und sie zu bearbeiten. Dazu zählen Fragetechniken und metaphorische Praktiken, wie unter anderem:
• Skulpturen
• Zirkuläre Fragen
• Genogramme
Patienten profitieren darüber hinaus von Techniken aus der psychotherapeutischen Behandlung. Dazu gehören zum Beispiel das positivierende Reframing ehemals negativ gedeuteter Eindrücke und Erlebnisse. Zudem können Patienten Hausaufgaben erhalten, in denen sie beispielsweise ihr Verhalten in einem System der Selbstbeobachtung unterziehen und protokollieren.
Skulpturen-Technik
Die Skulpturen-Technik wird bevorzugt auf den Familien-, Arbeits- und Schulkontext sowie auf Paarbeziehungen angewendet. In den Skulpturen stellt der Patient die Akteure des entsprechenden Systems in einem Raum auf. Die Akteure können dabei Verwandte, Personen im direkten oder erweiterten Umfeld bis hin zu Institutionen umfassen. Die Positionen spiegeln dabei das durch den Patienten wahrgenommene Beziehungsgeflecht wieder, zum Beispiel in Bezug auf Distanz oder Zugewandtheit untereinander. Dadurch erhält der Betroffene ein umfassenderes Bild über die jeweiligen sozialen Dynamiken und seine eigene Position innerhalb des Systems. Die Aufstellungstechniken können mit den realen Mitgliedern, neutralen Stellvertretern oder über Platzhalterobjekte durchgeführt werden.
Eine Variante der Technik ist die Familienaufstellung. Sie gilt in Fachkreisen allerdings als umstritten. Die Technik, so die Kritik professioneller Therapeuten, wird teilweise von Personen genutzt, die nicht über die notwendige Schulung bzw. Empathie verfügen. So fehle ein emotionaler Schutzraum für die Klienten. Dadurch können sich die psychischen Beschwerden verstärken, bis hin zur Depression.
Zirkuläre Fragen
Die systemische Therapie nutzt zudem Frage- und Interventionspraktiken, um psychische Belastungen zu behandeln sowie neue Sicht- und Handlungsweisen zu erzeugen. Fragegeleitet nimmt der Patient dabei den Blick einer dritten Person auf das zu bearbeitende Problem ein.
Beispielsweise kann eine Klientin, begleitet durch den Therapeuten, durch die Augen ihrer Mutter auf das Familiensystem blicken. Über den Zwischenschritt des Perspektivwechsels können bisher verborgene Aspekte der sozialen Prozesse ans Licht kommen. Patienten können die gewonnenen Erkenntnisse in die anschließende Reflexion übernehmen und zu mehr Akzeptanz und Selbstwertgefühl gelangen.
Das Genogramm
Eine weitere, sehr gebräuchliche Methode stellt das Genogramm dar. Als Basis dazu dient der grafische Familienstammbaum. Patienten erweitern dabei die Verwandtschaftslinien durch Beziehungslinien. Diese Linien beschreiben beispielsweise, wie eng und intensiv oder konfliktbeladen eine Bindung ist.
Dadurch tritt eine emotionale Ebene der Familienstruktur hervor. Mit ihr lassen sich verdeckte Muster in der familieninternen Beziehungskonstruktion aufdecken. So können Patienten einerseits präziser darin vorgehen, übernommene Muster zu durchbrechen. Andererseits können sie bisher ungenutzte, stabilisierende Beziehungen besser für sich nutzen.
An wen richtet sich die Therapieform?
Die systemische Therapie eignet sich sowohl für Einzelpersonen, Paare und Familien als auch für Firmen und Organisationen. Dadurch finden die systemischen Methoden vermehrt Einzug ins Coaching und in die Unternehmensberatung. Frei nach dem Bedarf können Regelmäßigkeit und Abstände der Sitzungen stark variieren. Hauptsächlich kommen die systemischen Konzepte bei Paar- und Familientherapien zum Einsatz. Neben diesen Mehrpersonensettings profitieren auch Patienten von systemisch geleiteten Einzel- und Gruppentherapien bis hin zu Multifamilientherapien.
Abgrenzung zur systemischen Beratung und zum Coaching
Im Gegensatz zur Therapieform kümmern sich systemische Berater nicht um psychische Beschwerden, sondern um einen besseren Umgang mit Alltagsproblemen und Stressmomenten sowie um die Lösungssuche bei der Verfolgung persönlicher Ziele. Das Ziel der systemischen Beratung liegt vor allem darin, die Eigenkompetenz der Klienten zu stärken.
Das systemische Coaching begutachtet soziale Prozesse und die Kommunikation in Firmenabteilungen, einzelnen Projekten oder der gesamten Organisation. Die systemische Arbeit kann sich dabei auf einzelne Personen, Teams oder das Führungspersonal konzentrieren.
Sowohl die systemische Beratung als auch das systemische Coaching sind keine geschützten Berufsbezeichnungen und unterliegen daher nur einer eingeschränkten gesetzlichen Kontrolle. Daher nahmen die Krankenkassen sie, anders als die systemische Therapie, nicht in ihren Leistungskatalog auf.
Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen
Die gesetzlichen Krankenkassen erkannten 2018 die Systemische Therapie als richtlinienkonforme Therapiemethode für Erwachsene an. Zwei Jahre später wurde sie Teil des Leistungskatalogs. Damit übernahm die Krankenversicherung die Kosten der Behandlung, allerdings vorerst nur für Erwachsene.
Im Jahr 2024 kam die systemische Kinder- und Jugendtherapie zum Leistungskatalog hinzu. Seither können Betroffene im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse Anträge auf Kostenübernahme stellen.