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Wissen & Wandel

Gendermedizin - Warum eine Ungleichbehandlung in der Medizin gut ist

veröffentlicht am 10.11.2023 von Redaktion krankenkasseninfo.de

GendermedizinGendermedizin
Männer und Frauen kann man nicht gleich behandeln. Zumindest nicht in der Medizin. Denn sie reagieren auf die gleichen Krankheiten häufig mit unterschiedlichen Symptomen und Heilungsverläufen. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich Forderungen nach einer geschlechtsspezifischen Medizin, wie sie die Ampel-Regierung unter dem Stichwort Gendermedzin fördern will.  

2023-11-10T16:07:00+00:00
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Gendermedizin ist eine geschlechtsspezifische Medizin. Sie hat zum Ziel, eine optimale medizinische Versorgung für alle Geschlechter zu ermöglichen. Die für die Gendermedizin relevanten Untersuchungspunkte sind aber nicht nur biologischer Natur. Auch soziale Aspekte werden berücksichtigt. Die Forscher untersuchen daher, inwieweit sich biologische und sozial erworbene Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf die Entstehung, Diagnose und Therapie von Krankheiten auswirken. Neben hormonellen, physiologischen und metabolischen Unterschieden werden daher auch der Zugang zum Gesundheitssystem, das Gesundheitsverhalten und präventive Maßnahmen untersucht. Denn auch unser Verhalten im Alltag hat einen erheblichen Einfluss darauf, ob wir gesund bleiben oder krank werden.

Hormonelle und genetische Faktoren

Neben den offensichtlichen biologischen Aspekten wie Größe und Gewicht sind vor allem die genetischen Unterschiede zu beachten: Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen zwei X-Chromosomen.  Auf den X-Chromosomen liegen die meisten Gene. Diese beeinflussen die lebenswichtigen Organe und das Immunsystem. Frauen profitieren davon, dass ihnen potenziell zwei Varianten von Immunzellen zur Verfügung stehen. Tatsächlich haben Frauen im Durchschnitt eine bessere Immunabwehr. Dennoch leiden sie häufiger an Autoimmunerkrankungen wie der chronischen Schilddrüsenerkrankung Hashimoto.

Gendermedizin berücksichtigt geschlechtsspezifische Unterschiede Gendermedizin berücksichtigt geschlechtsspezifische Unterschiede(c) Getty Images / Prostock-Studio

Auch hormonelle Unterschiede sind nicht zu vernachlässigen: Männer produzieren mehr Testosteron, Frauen mehr Östrogen. Hormone beeinflussen zahlreiche Vorgänge und Funktionen im Körper. Der höhere Östrogenspiegel bei Frauen bis zu den Wechseljahren wird für eine bessere Immunabwehr mitverantwortlich gemacht. Ein Grund dafür, dass es die so genannte „Männergrippe“ als stärkere Krankheitserscheinung bei Infekten tatsächlich gibt.

Wichtig für die Frau und den Mann

Eine 40-jährige Frau stellt sich beim Arzt wegen eines verspannten Kiefers, Atemnot, Übelkeit und anhaltenden starken Rückenschmerzen vor. Zur gleichen Zeit klagt ein etwa 65-jähriger Mann über einen stechenden Schmerz im linken Brustkorb, der in den linken Arm ausstrahlt und ein Engegefühl verursacht. Der Mann hat wahrscheinlich einen Herzinfarkt. Die Frau aber auch. Bei weiblichen Patienten vermuten viele aufgrund des Alters und der Art der Beschwerden nicht sofort einen Herzinfarkt. Außerdem wird Gendermedizin nicht an allen Universitäten gelehrt.

Die Geburtsstunde der Gendermedizin schlug Ende der 1980er Jahre in den USA. Die amerikanische Kardiologin Marianne Legato berichtete erstmals über die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Herzpatienten. Inzwischen haben sich diese Erkenntnisse auf viele weitere Bereiche der Medizin ausgeweitet. Von der Gendermedizin können viele profitieren: Während viele wissen, dass Frauen an Brustkrebs erkranken können, wird Brustkrebs bei Männern aus Unwissenheit erst sehr spät erkannt. Ob Depressionen, Herz- oder Nierenerkrankungen - Männer und Frauen erkranken unterschiedlich und brauchen in vielen Fällen auch unterschiedliche Therapien. Auch bei Medikamenten. Frauen müssen aufgrund hormoneller und genetischer Unterschiede mit mehr Nebenwirkungen rechnen. Das muss dringend stärker berücksichtigt werden.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Mann und Frau

Nach wie vor fällt es vielen Ärzten deutlich leichter, Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern zu diagnostizieren. Dazu gehören Herzschwäche, Schlaganfall, koronare Herzkrankheit (KHK) und Bluthochdruck. Das späte Erkennen dieser Erkrankungen hat zum Teil dramatische Folgen:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor die häufigste Todesursache bei Frauen.
  • Bei einem Herzinfarkt handeln Frauen aufgrund der weniger bekannten weiblichen Symptomatik oft zu spät.
  • Nach wie vor sterben mehr Frauen als Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
  • Erst 2020 wurde ein Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit veröffentlicht, das bestätigte, dass rund 70,4 Prozent der medizinischen Fakultäten ihren Studierenden nur unzureichend gendersensibles Wissen vermitteln.

Was sich ändern muss

Immer mehr Deutsche wünschen sich mehr Informationen darüber, wie sich Krankheitssymptome bei Männern und Frauen unterscheiden. Ebenfalls hoch ist der Anteil derer, die sich von ihrem Arzt konkrete Informationen darüber wünschen, inwieweit unklar ist, ob die Wirkung von Medikamenten bei Männern und Frauen unterschiedlich ist.  

Das sagt außerdem der Koalitionsvertrag der regierenden „Ampel“-Regierung: „Wir berücksichtigen geschlechtsbezogene Unterschiede in der Versorgung, bei Gesundheitsförderung und Prävention und in der Forschung und bauen Diskriminierungen und Zugangsbarrieren ab. Die Gendermedizin wird Teil des Medizinstudiums, der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe werden.“ Auch das Interesse der derzeitigen Studenten und jungen Ärzte nimmt zu. Das kann in den kommenden Jahren einiges bewirken.

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