Ständig müde oder chronisch erschöpft: Wann habe ich "Fatigue" ?
Wie verläuft eine ME/CFS-Erkrankung?
Viele Betroffene waren vor Ausbruch der Erkrankung körperlich funktionsfähig, erfolgreich im Berufsleben und gut eingebunden in ein soziales Netz. Die Beschwerden treten meist plötzlich auf. Häufig geht dem Beginn ein anstrengendes Ereignis voraus, wie zum Beispiel eine Viruserkrankung oder eine Operation.
Falls Sie an wiederkehrenden, aber kurzen Erschöpfungsbeschwerden leiden, muss noch kein Chronic-Fatigue-Syndrom vorliegen. Erst bei einer nicht weiter zu erklärenden Erschöpfung von mindestens sechs fortlaufenden Monaten sprechen Experten vom chronischen Erschöpfungssyndrom. Die Beschwerden können dabei bereits beim Aufwachen auftreten und sich im Tagesverlauf steigern. Die dauerhaften Einschränkungen führen bei Betroffenen zur Depression.
Wer ist am stärksten von ME/CFS betroffen?
Nach Schätzungen des Europäischen Netzwerks für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) betrifft dies um die 0,5 Prozent der Bevölkerung. Die Symptome treten dabei geschlechtsunabhängig bei Menschen im Kindes- bis zum Rentenalter auf. Allerdings häuft sich die Diagnose bei 20- bis 50-Jährigen. Als Frau im Alter zwischen 29 und 35 Jahren haben Sie ebenfalls ein erhöhtes Risiko für dauerhafte Erschöpfungsbeschwerden. Nach Untersuchungen des Charité Fatigue Centrums erkranken Frauen 3-mal häufiger im Vergleich zu Männern. Zudem scheint eine Virusinfektion eine anschließende Dauererschöpfung zu begünstigen.
Typische Symptome von Dauererschöpfung
Das chronische Erschöpfungssyndrom bedeutet für viele Betroffene einen massiven Einschnitt in die Alltagsstruktur und die Lebensqualität. Sie fühlen sich bereits nach geringer körperlicher oder geistiger Tätigkeit stark ermattet und überlastet. Dieser Zustand kann sich über Jahre hinziehen. Der Leidensdruck einiger Menschen steigt so immens, dass sie keiner Arbeit nachgehen können. Mitunter werden Leidende bettlägerig und bedürfen Pflege. Zur Diagnose bestehen verschiedene Kriterienkataloge. Zu den am häufigsten aufgeführten Beschwerden zählen:
- Stark eingeschränktes Aktivitätslevel mit langen Erholungsphasen von bis zu 24 Stunden
- Schlafstörungen
- Konzentrations- und Gedächtnisschwächen
- Schmerzen in der Muskulatur und den Gelenken
- Koordinationsschwäche
- Paniksymptome wie Herzrasen und Schweißausbrüche
- Starke Schwankungen der Körpertemperatur und des Körpergewichts
- Übelkeit und Appetitlosigkeit
- Überempfindlichkeit gegenüber Licht, Geräuschen, Düften, Aromen und Berührungen
- Kreislaufbeschwerden in aufrechter Position
Ein wichtiges Kriterium, das allerdings nicht bindend ist, liegt in der Mindestdauer der Erschöpfung von sechs Monaten bei Erwachsenen und drei Monaten bei Kindern. Außerdem sollten Betroffene Symptome verschiedener Kategorien aufweisen. Für eine offizielle Diagnose braucht es nachweisbare Beschwerden des Immunsystems, des Neurosystems oder des Energie- bzw. Stoffwechselhaushalts.
Wodurch wird das chronische Erschöpfungssyndrom ausgelöst?
Die Experten sind sich uneins über die Gründe des chronischen Erschöpfungssyndroms. Bisher konnten keine Untersuchungen stichhaltige Beweise über die genauen Faktoren liefern. Daher vermuten Fachleute, dass eine Kombination aus genetischen, physischen und psychischen Ursachen die Erkrankung hervorruft.
Viele Fachleute sehen ansteckende Krankheiten als verantwortlich. Doch die Studienlage ist hierzu zwiespältig. Einige Untersuchungen bringen etwa das Epstein-Barr-Virus, die Lyme-Krankheit oder Röteln in Zusammenhang mit ME/CFS. Andere Untersuchungen finden zu dieser Einschätzung keine Beweise.
Untersuchungen zeigen zwar einzelne Anomalien bezüglich des Immunsystems. Doch auch diese Ergebnisse sind wissenschaftlich nicht eindeutig. Einerseits haben Allergiker somit kein größeres Risiko, am chronischen Erschöpfungssyndrom zu erkranken. Andererseits haben Erkrankte weder ein geschwächtes Immunsystem noch ein besonderes Risiko für Infektionen. Gleiches gilt für Hormonstörungen und psychische Störungen.
Zusammenhang von ME/CFS und COVID-19-Infektion?
Wenn Sie an Covid-19 erkranken, müssen Sie keine Dauererschöpfung befürchten. Nach einer COVID-19-Erkrankung kann sich bei Betroffenen das postvirale Müdigkeitssyndrom einstellen. Die Ursachen für die Beschwerde liegen zum einen in Organschäden durch Infektion und zum anderen in einer posttraumatischen Belastungsstörung durch die Erkrankung.
Eine wenn auch begrenzte Datenlage zieht eine Verbindung zwischen COVID-19 und dem chronischen Erschöpfungssyndrom. Eine Analyse des Charité Fatigue Centrums ging 2022 noch von einem Anstieg aus unter der Prämisse, dass sich hinter Long-Covid-Verläufen mit spezifischen Symptomen eine ME/CFS vermuten lässt. Allerdings zeigen die Zahlen zum Krankenstand unter Mitgliedern der Gesetzlichen Krankenversicherung einen Rückgang seit 2022. Dafür dokumentieren die Krankenkassen weiterhin lange Arbeitsausfallzeiten durch Long-Covid.
Eine genetische Disposition scheint ebenfalls zweifelhaft. Dr. Stephen Gluckman, ehemaliger Direktor von Penn Global Medicine und Spezialist für Infektionskrankheiten und das Chronic-Fatigue-Syndrom, geht zwar von einem familiär bedingten Zusammenhang bei Betroffenen aus. Allerdings fehlen valide Studien, um diesen Verdacht zu bestätigen. Der Spezialist plädiert trotz der unsicheren Forschungslage dafür, die Leidenden in ihren Symptomen stets ernst zu nehmen und nicht von einem Simulieren der Symptome auszugehen.
Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten
Der erste Schritt zu einer Diagnose führt in die Hausarztpraxis. Dort wird gemeinsam mit den Patienten je nach Ausprägung ein Behandlungsplan entworfen. Je nach Komplexität der Beschwerden kann eine Überweisung in eine Fachklinik oder Rehaklinik sinnvoll sein. Bisher gibt es keine evidenzbasierte, standardisierte Therapie für die Erkrankung. Somit besteht auch Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen für eine ME/CFS-Behandlung. Allerdings übernimmt die Krankenversicherung Therapien zu Schmerzen, Depressionen und Schlafstörungen sowie den Aufenthalt in einer Klinik.
Experten stufen das chronische Erschöpfungssyndrom als ein multisystemisches Krankheitsbild ein, das auch das Immunsystem und den Energiehaushalt beeinträchtigt. Damit gehen sie über die bisherige Einstufung als rein psychische Erkrankung hinaus. Dementsprechend wenden Fachleute eine Vielzahl von Behandlungsformen an. Die ersten Untersuchungen dienen zunächst dem Ausschluss anderer Krankheitsbilder mit ähnlichen Symptomen. Dazu wird regelmäßig das Blutbild untersucht. Eine Laboruntersuchung, die das chronische Erschöpfungssyndrom beweisen könnte, existiert zu diesem Zeitpunkt nicht.
Konnten der Arzt und die Labore andere Krankheiten ausschließen und keine medizinischen Ursachen finden, steht meist die CFS-Diagnose fest. Anschließend entscheiden Fachleute gemeinsam mit den Patienten über mögliche Therapieschritte. Diese umfassen etwa:
- Medikamente wie Antidepressiva und Kortikosteroide
- Psychotherapie
- Schmerzbehandlung
- Ruhemanagement und körperliche Trainingsprogramme
Die Medikamente sollen gegen Depression und Schlafstörungen auch gegen Schmerzen helfen. Nicht jedes Medikament zeigt die gleiche Wirksamkeit bei verschiedenen Betroffenen. Zum jetzigen Zeitpunkt fehlen gesicherte Ergebnisse zur generellen Wirksamkeit einzelner Medikamente. Als Patient sollten Sie daher stetig überprüfen, inwieweit die Symptome zurückgehen. Durch Rücksprache mit dem Hausarzt finden Sie schrittweise eine geeignete Therapiestrategie.
Als Psychotherapieform empfehlen Experten die kognitive Verhaltenstherapie. Sie soll einerseits mental stärken und eine positive Einstellung fördern. Andererseits sollen Patienten dabei helfen, den Fokus auf wiedererlernbare Funktionen zu richten, anstatt auf deren Verlust.
Welche Trainingsprogramme können helfen?
Betroffene von Dauererschöpfungen erleben ganz unterschiedlich Belastungsgrenzen. Für eine Person mag schon ein therapeutisches Gespräch an die Grenzen führen, bei anderen kann hingegen ein leichtes Workout mildernd auf Symptome wirken. Daher nutzen Fachleute das so genanntge Pacing als grundsätzliche Behandlungsstrategie. Das Pacing achtet gezielt auf individuelle Schonphasen. Das Vorgehen zeigt bisher positive Effekte sowohl beim chronischen Fatigue-Syndrom als auch bei der Long-Covid-Behandlung. Auf Basis des Pacing-Konzeptes können Betroffene verschiedene Angebote testen, wie beispielsweise:
- Meditation und Entspannungsmethoden wie autogenes Training
- Manuelle Schmerztherapie
- Ernährungsberatung
- Journaling, z. B. ein Belastungstagebuch
- Tagesablauf strukturieren
- Hilfsmittel wie Kompressionsstrümpfe und Gehhilfen
Mentale und körperliche Trainingsprogramme sollten Patienten fein dosiert nutzen und nur schrittweise steigern. Zu groß ist die Gefahr einer Überbelastung. Gleichzeitig können übermäßig lange Phasen der Inaktivität ebenfalls negativ die Beschwerden beeinflussen. Betroffene sollten daher sehr genau auf ihren Körper hören, Behandlungsformen erproben und sich unter die Aufsicht von Ärzten und speziell geschultem Personal begeben. Mitunter klingen einige Symptome von selbst wieder ab.
